Die Märkte im Fokus: Ist die Bewertung nach Anlageklassen noch zeitgemäß?

Thomas Metzger, Bankhaus Bauer
Thomas Metzger / Bild: Bankhaus Bauer
Die Corona-Pandemie, inklusive immer neuer Entwicklungen und derzeit hoher Inzidenzen, weiterhin anhaltende Lieferkettenprobleme in der globalen Wirtschaft, hohe Inflationsraten, die US-Fed vor einem Zinserhöhungszyklus, eine weiterhin schwelende Immobilienkrise in China und der Ukraine-Konflikt – das Jahr 2022 sieht sich gleich zu Beginn mit zahlreichen, substanziellen Herausforderungen konfrontiert. Insofern stellt sich die Frage, welche Anlageklasse im aktuellen Umfeld überhaupt (noch) attraktiv erscheint?!

Inflation derzeit im Fokus

Gerade das Thema Inflation wird oft als Argument gegen eine Investition in Aktien genannt. Doch je höher Preissteigerungen ausfallen, desto größer ist auch der reale Wertverlust von Kontoguthaben – ganz abgesehen von möglichen Negativzinsen. Bei Anleihen zeigt sich ein ähnliches Bild: Eine nennenswerte, positive Nominalrendite ist ohnehin schon seit Jahren kaum zu erzielen. Diese dürfte auch in 2022 deutlich unter der Inflationsrate liegen. Somit wäre real gesehen ebenfalls ein Vermögensverlust zu verzeichnen. Interessant wären Anleihen erst wieder im Fall eines substanziellen Zinsanstiegs auf ein Niveau oberhalb der Inflationsrate, allerdings erscheint uns dieser in Europa noch in sehr weiter Ferne. In den USA ist ein Zinserhöhungszyklus zwar in den nächsten Jahren zu erwarten, dennoch rechnen wir auch jenseits des Atlantiks mit negativen Realzinsen. Ferner führen steigende Zinsen zu einem Kursverlust bei bereits gehandelten Anleihen – je länger die Zeit bis zur Endfälligkeit, desto größer wird dieser ausfallen.

Relativ betrachtet sind Aktien nach wie vor attraktiv

Was schützt also gegen einen realen Vermögensverlust durch eine erhöhte Inflation? Unsere Antwort: Sachwerte, und hierzu gehören neben Immobilien, Kunst und Oldtimern eben auch Aktien. Natürlich ist die Bewertung von Dividendenpapieren in den letzten Jahren allgemein angestiegen, allerdings gilt dies auch für alle anderen Sachwerte. Insofern erscheinen Aktien im aktuellen Umfeld zwar mit Blick auf die Historie zunächst als „teuer“, im Vergleich zu den Anlagealternativen erachten wir sie jedoch als attraktivste Anlageform im aktuellen Umfeld.
 
Ein Risiko besteht natürlich, sollte die Weltwirtschaft durch ein Ausufern der Inflation in eine nachhaltige Krise gestürzt würde. Dieses Szenario sehen wir jedoch als unwahrscheinlich an. Vielmehr rechnen wir mit einer Inflation, die in den nächsten Monaten sowohl in den USA als auch in Europa zwar deutlich über den von Fed und EZB als optimal erachteten 2 Prozent liegen dürfte, sich jedoch nächstes Jahr dieser Zielmarkte zumindest hierzulande wieder annähern sollte. Auch die Gefahr einer „Stagflation“ – eine hohe Inflation bei gleichzeitiger Stagnation der Wirtschaft, sehen wir nicht als wahrscheinlichstes Szenario. Vielmehr rechnen wir damit, dass die im vergangenen Jahr teils ausgebremste Erholung in den nächsten Monaten nachgeholt wird. Die aktuellen Lieferkettenprobleme dürften sich in den nächsten Monaten sukzessive lösen.
 
Die Corona-Pandemie wird zwar auch 2022 weiter eine wichtige Rolle spielen, jedoch sollte sich die Situation in Richtung Frühjahr rein „saisonal“ wieder etwas entspannen. Weitere Mutationen des Virus sind zwar fast sicher, mit zunehmender Dauer sollte jedoch auch die Medizin weitere Fortschritte machen, sodass uns eine erneute Eskalation im nächsten Herbst/Winter hoffentlich erspart bleibt. Wir sind deshalb grundsätzlich weiterhin positiv für Aktien gestimmt, wobei dieser Optimismus mit verschiedenen Einschränkungen verbunden ist.

Aktien ja, aber:

  1. Aufgrund der bestehenden Risiken und der teils hohen Bewertungen von Aktien erwarten wir für das kommende Jahr neben der Rückkehr zur Normalität auch jene zur Volatilität an den Finanzmärkten. Die Kursentwicklung der letzten Wochen dürfte hierfür ein guter Vorgeschmack gewesen sein.
  2. Die Aufwärtsdynamik an den Aktienmärkten insgesamt wird unseres Erachtens weiter abnehmen. Für die großen Leitindizes rechnen wir daher eher mit Anstiegen im einstelligen Prozentbereich, als erneut satt zweistellige Zuwächse.
  3. Die Titelselektion dürfte im nächsten Jahr eine entscheidende Rolle spielen. Dabei sehen wir qualitativ hochwertige Unternehmen mit einer moderaten Bewertung im Vorteil gegenüber sehr hoch bewerteten Wachstumstiteln und strukturell/bilanziell schwachen Unternehmen. Ferner sollten Unternehmen mit Preissetzungsmacht in der Lage sein, die höhere Inflation an ihre Kunden weiterzugeben und sind deshalb zu bevorzugen.

Aktie ist nicht gleich Aktie

Insofern stellt sich ohnehin die Frage, ob die klassische Bewertung eines Portfolios nach Anlageklassen noch zeitgemäß ist. Sind Aktien per se riskant bzw. riskanter als Anleihen? Unseres Erachtens ist es nicht zielführend, das Risiko eines Portfolios allein anhand der Aktienquote zu definieren, denn Aktie ist nicht gleich Aktie. So ist das Risiko bei chinesischen Immobilienunternehmen derzeit sicherlich nicht mit dem eines weltweit führenden Konsumgüterunternehmens mit starker Markenmacht zu vergleichen. Gleiches gilt für Anleihen. Eine vermeintlich sichere Rendite existiert zwar noch, diese ist bei in Euro notierenden Anlagen guter Qualität negativ oder allenfalls leicht positiv. Eine nominal attraktive Rendite geht mit einem höheren Risiko einher – für eine positive reale Rendite dürfte dieses weit jenseits aller temporärer Schwankungen an den Aktienmärkten liegen. Insofern gilt zu hinterfragen, ob die traditionelle Sicht von „riskanten Aktien“ und „sicheren Anleihen“ noch aktuell ist und ob temporäre Schwankungen bei Aktien von Qualitätsunternehmen nicht ein vertretbarer „Preis“ für langfristig sehr wahrscheinlich bessere Performance sind.
Thomas Metzger (43) ist seit 14 Jahren Leiter Vermögensverwaltung beim Stuttgarter Bankhaus Bauer. Bereits zuvor war er im Portfolio Management, Wertpapierhandel und Aktien-Research sowie für mehrere Banken in den USA tätig. Zusätzlich doziert er an mehreren Hochschulen zu den Themengebieten Portfolio Management und derivative Finanzinstrumente. Bei einem breiten Publikum hat sich Metzger durch seine zahlreichen TV-Interviews, Fachbeiträge etc. einen Namen als Investmentspezialist gemacht.