Man soll keine Probleme suchen, wo gar keine sind

Norbert Betz
Norbert Betz / Bild: BBAG/Killius
Politische Streitereien um Zölle oder Posten, Sorgen um die Weltkonjunktur, zunehmende Gängelung und Regulierung des gesunden Menschenverstandes – es gibt ausreichend Gründe, um als Anleger die Segel zu streichen und mit Unbehagen in die Zukunft zu blicken. Ein gesundes Maß an Skepsis ist auch angebracht. Aber trennen Sie sich nicht rasch und unüberlegt von Ihren Depotwerten. Denn es ist eine Binsenwahrheit, dass sich die Börsenkurse auf lange Sicht nach oben bewegen, insbesondere wenn man zusätzlich die Dividenden über die Jahre und Jahrzehnte thesauriert.

Eine Binsenwahrheit

Der Begriff der Binsenwahrheit kommt aus dem Lateinischen: „nodum in scirpo qaerere“ – einen Knoten an einer glatten Binse suchen, also ein Problem dort vermuten, wo eigentlich gar keines ist. Und tatsächlich, als beispielsweise der Streit um den Brexit auf einen Höhepunkt zusteuerte und Theresa May erst eine Abstimmung für ihren Plan A verlor, aber die Vertrauensabstimmung gewann, reagierten die Finanzmärkte gelassen. Nicht, weil sie kein Problem im Brexit erkannten, aber gerade die institutionellen Investoren wissen, dass ein solches Ereignis zwar für kurzfristige Verwerfungen sorgen mag, langfristig aber das Wirtschaftswachstum wohl weder in Großbritannien noch in der EU nachhaltig tangieren dürften.  Ja, manche erwarten sogar, dass die Briten mit deutlich weniger Gängelung – siehe oben – künftig besser fahren werden. Der Brexit ist so vor allem ein gefundenes Thema für die Medien, die hier in allerlei Verästelungen so manchen Knoten finden wollen. Aber das verunsichert vielleicht den ein oder anderen Privatanleger, nicht jedoch die kapitalkräftigen Großinvestoren mit ihrer Weitsicht.
 
Ähnliches konnten wir beim Handelsstreit zwischen den USA und China erleben - als auf dem jüngsten G-20-Gipfel sich die beiden Kontrahenten nur soweit einigten, dass sie keine weitere Eskalation wollen, auf dem Status-quo beharren und weiter verhandeln werden, gingen die Kurse weiter nach oben - und was durfte man alles lesen über die Katastrophe des Welthandels und dem Ende der Globalisierung. Die Profis haben sich längst arrangiert.

Keine Regel ohne Ausnahme

Es gibt da allerdings noch eine tiefere Erkenntnis, dass es nämlich keine Regel ohne Ausnahme gibt. Das gilt auch für die Entwicklung der Aktienmärke, und so wurden Anleger von japanischen Aktien oder italienischen Papieren in den vergangenen Jahren nicht glücklich, die Indizes der beiden Länder weisen nach unten. So bewegt sich der Nikkei, der bis ins Jahr 1914 zurückdatiert, immer noch weit unter seinem Höchstwert aus dem Jahr 1989 (!) von über 38.900 Punkten bei derzeit um die 22.000 Punkte. Gleiches ließe sich auf Branchen und Einzelwerte herunterbrechen – wenn fundamentale Faktoren nicht stimmen.
 
Insofern bleibt den Anlegern nichts anderes übrig, als zum einen aufgrund der derzeit kurzfristig positiven Kursverläufe – viele nutzen dann doch die günstige Gelegenheit zum Einstieg – nicht in Euphorie auszubrechen und angesichts erwartbarer weiterer Rücksetzer – sehr wahrscheinlich noch in diesem Jahr – nicht in Panik auszubrechen. Beides, blinde Begeisterung und nackte Angst, haben an der Börse nichts zu suchen. Überprüfen Sie regelmäßig Ihr Portfolio und denken Sie darüber nach, ob es sich noch in dem Zustand und der Zusammensetzung befindet, die Sie ihm ursprünglich zugedacht haben. Denn viele kurzfristige Reaktionen führen gerne langfristig zu einer größeren Verschiebung.

König Midas

Übrigens, zum Thema Binsenwahrheit gibt es noch eine hübsche Geschichte aus der griechischen Mythologie. Da hat König Midas seinem Friseur verboten, weiterzuerzählen, dass er unter seinen Haaren Eselsohren verberge. Nun waren schon in alten Zeiten Friseure für vieles bekannt, nur nicht, für ihr Verschwiegenheit: Der Barbier von Midas konnte das Gesehene auch nicht für sich behalten und rief es in ein Erdloch, wo es die Binsen hörten und weiterverbreiteten – bis es jedermann wusste und es zur Binsenwahrheit wurde. Wer heute die Eselsohren trägt (und aus welchem Grunde), und wer seine Wahrheit nicht für sich behalten kann, bis sie die ganze Welt glaubt, das überlasse ich Ihnen, den Lesern!