Wo bleibt der Glaube an das Inflationsziel?

Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank AG
Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank AG
Fazit: Aktuell kursieren diverse Argumente, warum die Inflationsrate auch mittelfristig höher sein könnte. Die Diskussion zeigt, wie unsicher der aktuelle Ausblick nach Jahren ausgesprochen niedriger Inflationsraten in der Euro-Zone ist. Zudem offenbart die Debatte das fehlende Vertrauen in Inflationsziel und Durchsetzungsvermögen der EZB.

Hohe Schuldenquoten in der Euro-Zone erhöhen die Effektivität einer geldpolitischen Straffung und sorgen eher für Deflations- als Inflationsrisiko. Denn selbst ein marginaler Zinsanstieg könnte weitreichende Konsequenzen für Fiskalpolitik, Realwirtschaft und Vermögenspreise haben. Da ein nachhaltiger Inflationsanstieg jedoch mit einer Überhitzung in der Wirtschaft einhergehen würde, ist das Konfliktpotenzial zwischen Geld- und Fiskalpolitik eher überschaubar.

Weder die aktuelle Überschreitung des Inflationsziels noch auf Sicht niedrige Zinsen zeugen deshalb vom geringen Einfluss der EZB.
Großes Geldmengenwachstum wird als mittelfristiges Risiko gesehen, da Inflation laut der erwähnten Theorien langfristig immer ein monetäres Phänomen ist. Die Sorge besteht, die Notenbank könne das durch Aufkaufprogramme neu geschaffene Geld durch eine Bilanzreduzierung nur zögerlich neutralisieren, wenn überhaupt. In Folge wäre relativ zu den produzierten Gütern bzw. Dienstleistungen eine viel zu große Geldmenge im Umlauf. Andererseits steigt die Inflation nur dann, wenn das Geld in der Realwirtschaft landet und es zu einer Überhitzung der Nachfrage kommt. Manche sehen diese Entwicklung aktuell bereits in der expansiven Fiskalpolitik, andere erwarten eher Deflationsdruck wegen absehbarer Konsolidierungsanstrengungen in den kommenden Jahren. Fakt ist, ein hohes Geldwachstum entspricht einer Geldentwertung, unabhängig davon, ob der harmonisierte Verbraucherpreisindex schneller ansteigt oder nicht. Dies zeigt sich in Vermögenspreisen wie bei Immobilien oder Gold. Deshalb hat die Geldpolitik auch bedeutende Verteilungseffekte, auch wenn die Inflationsrate stabil bleibt. Die Geldpolitik scheint aktuell weniger die Verbraucherpreisinflation zu beeinflussen, als Vermögensblasen zu bilden, wie gegenwärtig und weltweit am Immobilienmarkt zu erkennen ist. Doch das mögliche Platzen einer Immobilienblase würde eher deflationär wirken, da das die Nachfrage in der Wirtschaft sowie die Bilanzen von Immobilienbesitzern belastet würde.
Dem demografischen Wandel wird ebenfalls ein Inflationsrisiko unterstellt. Die alternde Bevölkerung in den Industrieländern und China würde zunehmend zu einem Ungleichgewicht führen, da eine alternde Bevölkerung nicht nur weniger produziere, sondern weiterhin hohe Ansprüche an Ressourcen habe. Die niedrige Inflation der letzten 30 Jahre war demnach ein Sondereffekt infolge der Globalisierung des chinesischen Arbeitsmarktes und werde bald auslaufen. Auf der anderen Seite zeigt Japan, dass es bei einer alternden Bevölkerung auch zu Deflation kommen kann. Dies gilt vor allem dann, wenn die Bevölkerung abnimmt und deshalb die Nachfrage sinkt, während Produktivitätswachstum für immer mehr Angebot pro Kopf sorgt. Folglich scheint es hinsichtlich des demografischen Wandels plausible Argumente für und gegen eine höhere Inflation zu geben.

Bei allen bedeutenden Notenbanken scheint Konsens über eine mittelfristig flache Philipskurve zu herrschen. Es wird nicht mit eskalierenden Löhnen infolge einer niedrigen Arbeitslosenquote gerechnet. Aufgrund von Globalisierung und Deregulierung sollte der Lohndruck grundsätzlich moderat bleiben. So mag es zwar kurzfristig zu Übertreibungen kommen, eine Lohn-Inflationsspirale und damit womöglich eine anhaltende Stagflation sind jedoch unwahrscheinlich. Im Jahr 2022 mag allerdings kurzfristig durchaus Potenzial für erhöhten Lohndruck bestehen – zumindest in Deutschland. Eine anhaltende Stagflation wird ebenfalls von einigen Beobachtern befürchtet: Dann würden Angebotsschocks wie Lohnsteigerungen oder Lieferengpässe die Preise nach oben treiben und das Wachstum nach unten. Eine solche Entwicklung scheint der aktuellen Inflationsdynamik gut zu entsprechen. Doch ein einmaliger Preisschock führt noch zu keiner Inflation bzw. anhaltend höheren Preissteigerungen. Hierfür bedarf es einer anhaltend robusten Nachfrage.

Auch der Klimawandel soll generell einen Anstieg der Inflationsrate bewirken: relative Preise werden sich deutlich und beabsichtigt erhöhen. Der finale Einfluss auf die Inflation ist jedoch eher unsicher, da ein hohes Investitionsvolumen das Potenzialwachstum auch positiv beeinflussen kann.

… doch welchen Einfluss hat die Notenbank?

Die aktuelle Unsicherheit über den mittelfristigen Inflationsverlauf ist zu einem gewissen Grad überraschend. Denn von allen Prognosen in der Volkswirtschaft sollte die zur Inflationsrate am einfachsten zu bestimmen sein. Wo liegt die Inflationsrate in 5 oder 10 Jahren? Im Schnitt bei oder unter 2 Prozent. Schließlich gibt es eine Notenbank, die ein Inflationsziel definiert und deren Handlungsspielraum bei steigender Inflation zunimmt, da ihre Zinspolitik im Gegensatz zum „lower bound“ nach oben keine Grenze hat. So waren die letzten 20 Jahre bei einer durchschnittlichen Inflationsrate von rund 1,7 Prozent auch eher durch Deflation als durch Inflation geprägt. Wenn also der Handlungsspielraum der Notenbank tatsächlich groß wäre bzw. ihre Glaubwürdigkeit unbestritten, wäre die entscheidende Frage nicht die nach dem mittel- oder langfristigen Inflationsanstieg, sondern ob und wie hoch die Zinsen ansteigen werden. Die Diskussionen und Debatten zeigen deshalb, wie wenig das Inflationsziel als langfristig glaubwürdiger Anker angesehen wird.

Der Handlungsspielraum der EZB wird vor allem aus zwei Gründen angezweifelt: die Immobilien- und Vermögenspreise sind deutlich angestiegen, die private und staatliche Verschuldung hat stark zugenommen. Beides sind durch die Niedrigzinspolitik geförderte Entwicklungen, bei denen eine geldpolitische Wende zu einer Gefahr für die Realwirtschaft werden könnte. Denn zum einen sind graduelle Anpassungen der Vermögenspreise oftmals illusorisch. Vielmehr ist eher von einem durch Zinssteigerungen verursachten Platzen der lokalen wie weltweiten Immobilienblasen auszugehen, was bedeutende Deflationsrisiken mit sich bringen würde. Zum anderen scheint bei höheren Renditen die Schuldentragfähigkeit vieler Euro-Staaten nicht mehr gegeben zu sein. Es bleibt abzuwarten, ob steigende Renditen und damit Zinslasten die europäische Fiskalpolitik auf Konsolidierungskurs bringen können. Wäre dem so, dann würde nicht nur die Schuldentragfähigkeit gesichert sein; der Inflationsdruck würde sich ebenfalls reduzieren. Ist die europäische Fiskalpolitik nach Jahren der Geldschwemme und sinkenden bzw. negativen Renditen jedoch nicht dafür bereit, würde die Schuldentragfähigkeit tatsächlich einer antiinflationären Geldpolitik entgegenstehen – auch weil die nötigen Zinsanhebungen ohne fiskalische Konsolidierung deutlich stärker ausfallen müssten, um die Nachfrage in der Wirtschaft ausreichend abzukühlen.

Mittelfristiger Ausblick: eher Deflations- als Inflationsrisiken?

Reagiert die Fiskalpolitik jedoch mit Konsolidierung, so mag sich der Einfluss von steigenden Zinsen auf die Wirtschaft sogar erhöhen. Der benötigte Zinsanstieg wäre dann weniger groß, auch weil die Schuldenlast selbst bei moderat höheren Zinsen deutlich ansteigen und die Wirtschaftsdynamik abkühlen würde. So müssen Zinsen nicht auf alte Niveaus ansteigen, um dem Inflationsdruck spürbar entgegenzuwirken. Reale Zinsen könnten im historischen Vergleich immer noch niedrig sein und dennoch eine ausreichende geldpolitische Straffung andeuten. Der aktivere Part liegt hier allerdings eher bei der Fiskal- als bei der Geldpolitik. Wie in Zeiten der Krisen, als Geld- und Fiskalpolitik gemeinsam die realwirtschaftlichen Folgen erfolgreich gedämpft haben, so ist auch bei den aktuellen Schuldenständen ein gemeinsames Handeln notwendig, falls die Inflationsrate steigt. Gerade das scheint für Unbehagen zu sorgen. Gibt es jedoch keine nachhaltige Lohn-Inflationsspirale und damit Stagflation, ist der mögliche Konflikt zwischen Geld- und Fiskalpolitik weniger ausgeprägt. Schließlich wird eine robuste Nachfrage das staatliche Haushaltsdefizit reduzieren und die Schuldenquote senken – und dies ohne besondere politische Anstrengungen. Die Notenbank ist gerade wegen der hohen Schuldenquoten in einer guten Ausgangsposition, um durch marginale Zinsanhebungen einem nachfragegetriebenen und damit womöglich nachhaltigen Inflationsanstieg effektiv entgegenzuwirken. Allerdings darf sie nicht zu ambitioniert handeln, damit es nicht zu einem Nachfrageeinbruch und damit zu Deflationsrisiken infolge eskalierender Schuldenlasten und korrigierender Vermögenspreise kommt.

Ab Ende 2022: Eher zu niedrige als zu hohe Inflation

Insgesamt scheinen höhere Schuldenquoten weniger ein Grund für Inflations- als Deflationsentwicklungen zu sein. Es bleibt abzuwarten, in welchem Maße ein hohes Nachfragewachstum bei aktuell hohen Schuldenständen und perspektivisch leicht anziehenden Zinsen erreicht werden kann. Sicherlich wird viel von der globalen Konjunktur und dem Exportüberschuss der Euro-Zone abhängen. Die IKB erwartet eine Inflation in der Euro-Zone von 2,3 Prozent im Jahr 2021 und von rund 2 Prozent im Jahr 2022. Bei einem nachlassenden globalen Wachstum nach dem Auslaufen der Aufholeffekte infolge der Krise sowie sinkenden Rohstoffpreisen mag Ende 2022 und im Jahr 2023 jedoch eher die Sorge über eine zu niedrige als zu hohe Inflation angebracht sein. Da die Inflationsrate jedoch kurzfristig eher weiter nach oben überraschen sollte, wird die Diskussion über Inflationsrisiken kurzfristig anhalten.

Der Handlungsspielraum der EZB wird vor allem aus zwei Gründen angezweifelt: die Immobilien- und Vermögenspreise sind deutlich angestiegen die private und staatliche Verschuldung hat stark zugenommen. Beides sind durch die Niedrigzinspolitik geförderte Entwicklungen, bei denen eine geldpolitische Wende zu einer Gefahr für die Realwirtschaft werden könnte. Denn zum einen sind graduelle Anpassungen der Vermögenspreise oftmals illusorisch. Vielmehr ist eher von einem durch Zinssteigerungen verursachten Platzen der lokalen wie weltweiten Immobilienblasen auszugehen, was bedeutende Deflationsrisiken mit sich bringen würde. Zum anderen scheint bei höheren Renditen die Schuldentragfähigkeit vieler Euro-Staaten nicht mehr gegeben zu sein. Es bleibt abzuwarten, ob steigende Renditen und damit Zinslasten die europäische Fiskalpolitik auf Konsolidierungskurs bringen können. Wäre dem so, dann würde nicht nur die Schuldentragfähigkeit gesichert sein; der Inflationsdruck würde sich ebenfalls reduzieren. Ist die europäische Fiskalpolitik nach Jahren der Geldschwemme und sinkenden bzw. negativen Renditen jedoch nicht dafür bereit, würde die Schuldentragfähigkeit tatsächlich einer antiinflationären Geldpolitik entgegenstehen – auch weil die nötigen Zinsanhebungen ohne fiskalische Konsolidierung deutlich stärker ausfallen müssten, um die Nachfrage in der Wirtschaft ausreichend abzukühlen.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank und schreibt dort auch im eigenen IKB-Blog. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.
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