Aufsteiger im Check

Ulrich Kirstein mit der Presseschau am Freitag
Ulrich Kirstein / Bild: BBAG/Killius
Wenn wir einmal von der heranrückenden Bundestagswahl absehen, interessierte zumindest die deutschen Börsianer wohl vor allem die Erweiterung des DAX auf 40 Unternehmen. Der Tenor: Wurde auch Zeit! Damit ist er noch weit entfernt von den 500 Werten des US-Index S&P, zog aber immerhin mit dem französischen CAC gleich. „Frischer Anstrich“ heißt es in Focus Money zum runderneuerten DAX, „Was beim neuen Leitindex anders läuft“ präzisiert die Süddeutsche Zeitung und „Was der Dax 40 bringt“ weiß die WirtschaftsWoche. Einiges an Arbeit für die Fondsmanager, denken wir uns, und für diejenigen, die die Kursseiten von Zeitungen und Magazinen pflegen.

Die Wahl

Die Bundestagswahl ist inzwischen in den Finanzmagazinen angekommen, vielleicht weil Rot-Grün-Rot an Wahrscheinlichkeit zunimmt. Börse Online fragt auf dem Titel schon einmal prophylaktisch: „Wie gefährlich ist der Linksruck für Ihr Geld?“ Den Schwerpunkt auf dem Cover bildet jedoch auch hier der DAX 40: „Was sich ab Montag ändert. Neue Rekorde in Reichweite. Die zehn Aufsteiger im Check“ heißt es dazu. Mit klassischer Anti-Werbung wirbt Focus Money: „Ignorieren Sie dieses Heft“. Nun, wir sind kein Freund von Imperativen und halten uns nicht daran. Wer weiterliest, erkennt schnell, was ihm entgehen würde: „Wie Sie mit einer Dividenden-Strategie künftig auf 12 Prozent Ausschüttungsrendite kommen“ oder „Was der Grund für Allzeithochs ist“. Ein Cocktailglas vor Meer und Palmen, plakativ gezeichnet, ziert die Oktober-Ausgabe von Capital und erinnert uns schmerzlich daran, dass der Sommer und der Urlaub vorbei ist. Hintergrund, die Redaktion serviert uns „50 Aktien fürs Leben“, mit denen wir vielleicht permanent urlauben könnten!

Einsteiger

Tipps „nicht nur für Einsteiger“ versprach die Abendzeitung München und lockte „So erkennen Sie gute Aktien“. Ein Zitat aus dem Text machte uns dann doch stutzig: „Menschen an der Börse haben meist keine Ahnung und verlassen sich auf ihr Bauchgefühl“. Meinte der Autor etwa uns damit, die wir an der Börse arbeiten? Aber hätte es dann nicht eher „in“ der Börse und nicht „an“ der Börse heißen müssen? ? Wir verlassen uns auf unser Bauchgefühl und das sagt uns, dass wir nicht gemeint sind. Wenn wir auf die bei uns meistgehandelten Werte blicken, können wir das Statement aber auch so nicht stehen lassen – die meisten Menschen setzen auf jene Aktien, die auch in dem Artikel gelobt werden, nämlich Blue Chips mit anständigen Dividenden. Oder sie haben ein perfektes Bauchgefühl.

Die Studie 1

Nichts erfährt so viel Aufmerksamkeit wie Dinge, die diese nicht erregen sollen, das dürfte eine Binsenweisheit sein und mancher Politiker kann ein Lied davon singen. Erfahren musste dies jetzt die Deutsche Bank, auf deren Website für sehr kurze Zeit eine Studie über den Finanzplatz Deutschland zu finden war. Aufgegriffen hatte sie der frühmorgendliche Newsletter Finanz-Szene.de und die Börsen-Zeitung brachte den Tenor der Studie auf den Titel: „Miserables Zeugnis für Finanzplatz Deutschland“. Doch wie ein Schüler, der sein schlechtes Zeugnis verschwinden lässt, in der Hoffnung, es fällt nicht auf, hatte die Deutsche Bank die Studie rasch wieder von der Website genommen. „Deutsche Bank kassiert kritische Studie wieder ein“, las man dazu im Handelsblatt. All das machte extrem neugierig auf den Inhalt. Siechtum wurde dem Finanzplatz beispielsweise unterstellt, das von den Entscheidungsträgern aus der Politik gar nicht zur Kenntnis genommen würde. Detlev Flechtner schrieb einen Tag später in der Börsen-Zeitung, dass ihn die Studie an das bayerische Fernseh-Format „Jetz red i“ erinnere, wo es bunt und deftig zugehe und zumindest einige Wahrheiten verbreitet werden. Nachdem die Studie nicht mehr online ist, müsste es allerdings auf gut bayerisch eher „Jetz schweig i“ heißen.

Die Studie 2

Eine weitere Studie wurde nicht wieder vom Netz genommen, obwohl ihre Ergebnisse auch alles andere als erfreulich sind: Die Jugendstudie 2021 des Bankenverbandes offenbart „Große Lücken in der Finanzbildung junger Menschen" (Die Zeit). So wussten 44 Prozent der Befragten nichts mit dem Begriff Inflationsrate anzufangen – was immerhin den Eltern bei Taschengeldverhandlungen zu Gute kommt – und fast ein Drittel konnte auch mit Aktie nichts anfangen. Immerhin ist die Jugend selbstkritisch – „Junge Erwachsene bewerten ihr Finanzwissen als mangelhaft“, so Die Welt. Tatsächlich plädierten 77 Prozent für ein eigenes Unterrichtsfach zum Thema Finanzen. Wenn man die Äußerungen so manches Politikers zu Rate zieht, könnte das wirklich nicht schaden.