EZB-Politik: zaghafte Ankündigung eines Kurswechsels

Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank AG
Dr. Klaus Bauknecht / Bild: IKB Deutsche Industriebank AG
Fazit: Eine außerordentlich unterstützende Geldpolitik benötigt vorsichtige Schritte der Normalisierung, um bedeutende Korrekturen auf den Märkten und damit eine Verschlechterung der Finanzierungskonditionen zu verhindern. Heute hat die EZB den ersten Schritt hierzu eingeleitet, wenn auch einen kleinen.

Die Zeit, die eine behutsame Normalisierung der Geldpolitik benötig, hat die EZB. Denn Inflationsrate und Inflationsdruck werden sich im Jahr 2022 legen, während die Betonung der EZB auf einen nachhaltigen Inflationsanstieg die Bedeutung einer kurzfristigen Übertreibung relativiert.

Dennoch signalisieren die heutigen Ankündigungen den Anfang vom Ende des Notprogramms PEPP. Es wird bis dahin allerdings noch ein langer Weg sein. Bundrenditen sollten dennoch tendenziell weiter ansteigen, auch wenn sie noch auf Jahre von realen positiven Niveaus entfernt sind
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Zeit zu handeln, aber keine Eile, …

Eine expansive Geldpolitik begünstigt eine steigende Inflation. Deshalb warnen Volkswirte, eine zunehmende Inflation bringe die EZB in ein Dilemma, da ihre außerordentlich expansive Geldpolitik nicht auf die Schnelle gedreht werden könne und so der Inflationsentwicklung hinterherlaufe. Handlungsdruck ergibt sich aktuell dennoch nicht: Zum einen, weil die Inflationsentwicklung es nicht erfordert und zum anderen, weil die EZB vorgesorgt hat; denn die EZB legt den Fokus auf einen nachhaltigen Inflationsanstieg. Dieser ist erst über einen längeren Zeitraum erkennbar und legitimiert so eine kurz- und selbst mittelfristig höhere Teuerungsrate. Auch strebt die EZB seit ein paar Monaten ein symmetrische Inflationsziel an. Dieses muss dann ebenfalls mit einem symmetrischen geldpolitischen Einfluss einhergehen, was im Falle von 0 Prozent Zinsen viel Raum für zusätzliche Maßnahmen bietet. Da die Inflationsrate in den letzten 10 Jahren im Schnitt deutlich unter dem Zielwert von „knapp unter 2 Prozent“ lag, sollte eine Überschreitung des Zielwertes nicht überbewertet werden – auch wenn er über eine längere Zeit anhält.
 
Es wird auch zunehmend argumentiert, nach einem asymmetrischen Schock wären eine etwas expansivere Notenbankpolitik und damit auch eine höhere Inflation notwendig. Die Corona-Pandemie war ein asymmetrischer Schock, da Branchen sehr unterschiedlich betroffen waren. Da die Corona-Krise auch ein Katalysator für Veränderung ist, besteht in der Wirtschaft ein Bedarf an strukturellen Veränderungen. Also: Arbeitsplätze gehen in einigen Dienstleistungsbranchen endgültig verloren, während Digitalisierung in anderen Branchen neue Arbeitsplätze schafft. Um den Anpassungsprozess zu fördern, sollten Löhne in schrumpfenden Branchen sinken und in wachsenden zulegen, um die Neuallokation von Produktionsfaktoren zu beschleunigen, so die volkswirtschaftliche Theorie. Da Löhne jedoch kaum sinken werden, müssen die Inflation bzw. die Gehälter in den boomenden Sektoren steigen, um Anreize zu schaffen und Veränderungen voranzutreiben. Dafür ist eine außerordentlich expansive Geldpolitik erforderlich, da sie die Nachfrage stärkt und relative Preise verändert. Beides forciert einen Anpassungsprozess in der Wirtschaft. Wie flexibel Arbeitnehmer und Investitionen reagieren werden, damit eine Neuallokation einsetzt, bleibt abzuwarten. Es besteht die Sorge, die Corona-Krise könne die Investitionsdynamik nachhaltig belasten, was das langfristige Wachstum dämpft. Dies würde ebenfalls für ein „weiter so“ der Geldpolitik sprechen. Schließlich spielt die Fiskalpolitik eine entscheidende Rolle, Investitionen und Nachfrage zu stärken und den dafür notwendigen Spielraum schafft die EZB.

… weil der Inflationsverlauf dreht …

Der globale Boom der Industrieproduktion schein sich zu legen – und mit ihm der Druck auf Rohstoffpreise. Dies unterstützt die Erwartung einer nachlassende Inflationsdynamik im Jahr 2022. Zwar können steigende Löhne für Kostendruck und damit neue Inflationsimpulse sorgen. In welchem Maße dies für die Euro-Zone gilt, ist jedoch fraglich. Noch dominiert die Erwartung, der durch Rohstoffpreise und Wachstumsdynamik induzierte Inflationsschub führe zu keinen Zweitrundeneffekten. Somit sollte die Inflationsrate der Euro-Zone im Jahr 2022 deutlich sinken. Allerdings kann sie dabei sehr wohl über der 2 Prozent-Marke bleiben – was laut Zielvorgabe und Historie für die Notenbank kein Problem darstellen sollte.

… und Stagflation ein eher kurzfristiges Phänomen sein sollte, …

Oft wird Stagflation als größtes Risiko einer expansiven Geldpolitik angesehen. Stagflation, also eine steigende Inflation bei einer gleichzeitig schrumpfenden Wirtschaft entsteht, wenn die Angebotsseite der Wirtschaft entweder mit einem durch höhere Löhne und Rohstoffpreise verursachten Kostendruck konfrontiert wird, oder mit einem Kapazitätsabbau als Folge eines Schocks. Aber eine durch eine Krise ausgelöste Stagflation ist nur temporär. Denn bleiben die Folgen der Krise nachhaltig und das Potenzialwachstum sinkt, wird die Arbeitslosenquote steigen und die Nachfrage wird einbrechen, wie in der großen Depression. Entsteht Stagflation durch einen einmaligen Kostendruck aufgrund hoher Rohstoffpreise, setzt sie sich nur bei einer einsetzenden Lohn-Preisspirale fort; in einer offenen Volkswirtschaft ist Letzteres allerdings kaum möglich. Somit mag für kurze Zeit von Stagflation gesprochen werden. Für eine Geldpolitik, die die mittelfristige Inflationsentwicklung im Auge hat, ist das jedoch von wenig Bedeutung.

… dennoch ist eine Adjustierung der Geldpolitik wünschenswert

Obwohl die Inflationsrate Anfang 2022 deutlich sinken sollte, ist dennoch eine Richtungsänderung der Geldpolitik notwendig. Denn die wirtschaftlichen Risiken, die zum Start und zur Ausweitung des PEPP-Programms geführt haben, haben sich deutlich reduziert. Da das Aufkaufprogramm die Renditemärkte maßgeblich bestimmt und verzerrt, steigt zudem das Korrektur- bzw. Überraschungspotenzial, falls die EZB zu hastig Anpassungen vornehmen muss. Deshalb sollte die EZB die Märkte früh genug auf eine Korrektur ihrer Geldpolitik vorbereiten, auch wenn diese noch so schwach ausfallen sollte. Ein erster Schritt wäre eine Diskussion über die Reduzierung der monatlichen Ankaufvolumen zu starten, ohne einen konkreten Deckel des Ankaufvolumens und damit ein Taperig anzukündigen. Dies hat die EZB bereits getan – mit der Erwartung, dass die Inflation sinken wird, bzw. die EZB auch in Zukunft keinen Handlungsdruck verspüren wird. Dennoch ist davon auszugehen, dass Bundrenditen tendenziell wieder steigen werden. Ihren Tiefpunkt haben wir also gesehen. Anders ausgedrückt: Die Zinswende am langen Ende der deutschen Zinskurve, wie stark sie auch letztlich ausfallen wird, ist zumindest eingeleitet.

Ankdündigungen der EZB

  • Die Zinsen bleiben unverändert, auch wenn die Inflationsrate kurzfristig über das Ziel hinausschießt. Ändern werden sie sich erst bei einem nachhaltigen Anstieg der Inflationsrate.
  • Das Ankaufvolumen unter dem PEPP-Programm wird im Vergleich zum zweiten und dritten Quartal von 2021 moderat reduziert, da günstige Finanzierungsbedingungen auch mit einem geringeren Ankaufvolumen sichergestellt werden können. Das Volumen anderer Ankaufprogramme bleibt unverändert. Diese Programme werden erst kurz vor dem ersten Zinsanstieg vollständig beendet werden. Ziel bleibt es, einer Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen entgegenzuwirken bzw. diese zu verhindern. Tilgungen aus dem PEPP-Programm werden bis mindestens Ende 2023 reinvestiert.
  • Die EZB wird im Dezember über mögliche weitere gezielte Refinanzierungsgeschäfte (tLTROs) entscheiden.

Wachstumsprognosen

Die BIP-Wachstumsprognosen der EZB sind für die nächsten Jahre mehr oder wenige unverändert geblieben und das Prognoserisiko ausgeglichen. Die Euro-Zone zeigt klare Erholungstendenzen; Unsicherheiten bleiben jedoch aufgrund der Corona-Pandemie bzw. deren Delta Variante:
  • Die EZB erwartet ein BIP-Wachstum für die Eurozone von 5 Prozent im Jahr 2021, von 4,6 Prozent im Jahr 2022 und von 2,1 Prozent im Jahr 2023.
  • Die Inflationsprognosen der EZB wurden leicht nach oben angepasst. Der mittelfristige Ausblick signalisiert jedoch immer noch eine Inflationsrate, die unter der Zielgröße liegt (1,5 Prozent in 2023). Laut der EZB ist der Inflationsanstieg im Jahr 2021 vor allem auf Kostendruck infolge von Lieferengpässen und Rohstoffpreisanstiegen zurückzuführen, die sich im Jahr 2022 legen sollten. Die EZB erwartet eine Inflation von 2,2 Prozent im Jahr 2021 und von 1,7 Prozent im kommenden Jahr. Sie erwartet also keine Inflationsrate, die über dem Inflationsziel für das Jahr 2022 liegt.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank und schreibt dort auch im eigenen IKB-Blog. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.
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