Japan nach Olympia: Aktienkultur noch nicht auf dem Treppchen

John Vail, Nikko AM
John Vail / Bild: Nikko AM
Japans Wirtschaft und Aktienmarkt wird nach den Olympischen Spiele einen Aufschwung erleben. An zwei Stellschrauben wäre aber noch zu drehen, um die Aktienkultur im Land zu verbessern:
  • Es gibt eine „Tradition“, die einer wirklichen Aktienkultur in Japan im Wege steht: allzu konservative Gewinnprognosen der Unternehmen. Für diese Zurückhaltung gibt es vielzitierte Gründe, wie etwa eine generelle Vorliebe für Bescheidenheit. Unternehmen wollen nicht gierig oder zu profitorientiert erscheinen. Da hilft es wenig, wenn diese Erwartungen später übertroffen werden – denn bis dahin sind die Märkte oft schon mit einer neuen Runde konservativer Prognosen konfrontiert.
  • Die Auswirkungen einer zu konservativen Unternehmensführung genau zu messen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Aber sie ist eine Form schlechter Unternehmensführung und sie schadet Japan und seinen Investoren. Ziel ist es, Vertrauen und Risikobereitschaft der japanischen Bevölkerung für langfristige Aktienanlagen zu stärken, ähnlich wie mit dem ETF-Programm der Bank of Japan und den steuerlich geförderten Investitionsplänen der Regierung für Kleinanleger. Warum im Zuge dessen das Problem zu konservativer Unternehmensführung nicht angegangen wurde, ist unklar. Reform tut Not. Wenn sich die Unternehmen beispielsweise bei ihrer Wachstumsprognose nicht sicher sind, können sie offizielle Schätzungen des globalen und inländischen BIP oder andere Daten dafür heranziehen. Dies würde zu einem wesentlich ehrlicheren Verfahren für Gewinnprognosen führen, welches die normalen Kleinanleger auf eine Stufe mit den Profis stellt.
  • Im schwierigen vergangenen Jahr haben nur wenige Unternehmen ihre Dividende gekürzt. Dies stellt im Sinne der Aktienkultur einen großen Fortschritt gegenüber früheren Abwärtszyklen dar. Dividenden auf einem Aufwärtskurs zu halten, demonstriert Vertrauen in die Zukunft des Unternehmens und wirkt beruhigend auf vorsichtige inländische Anleger. Bei stabilen Wachstumsunternehmen sollten die Ausschüttungsquoten auf nahezu 50 Prozent des Gewinns steigen, während Rückkäufe zurückgefahren werden sollten, da inländische Kleinanleger Dividenden besser verstehen als Rückkäufe.  
  • Die Kombination eines soliden Dividendenwachstums mit zuversichtlicheren Gewinnprognosen würde die japanische Aktienkultur für langfristige Anleger weiter stärken. In den letzten beiden Konjunkturzyklen hat sich gezeigt, dass Japans Börse für eine Hausse keine ausländischen Investoren mehr braucht. Erfreulicherweise gibt es Anzeichen dafür, dass sich eine Aktienkultur unter den einheimischen Kleinanlegern ausbreitet, insbesondere in der jüngeren Generation, von denen viele während der Pandemie in großer Zahl Konten bei Online-Brokern eröffnet haben. Die größten Online-Broker des Landes haben sich auf diese Anleger eingestellt und versuchen, jüngere Kleinanleger mit niedrigeren Provisionen zu locken.
  • Andere Kleinanleger erschließen den Aktienmarkt über andere Kanäle. So hat beispielsweise das Nippon Individual Savings Account (NISA), eine Art Steuerbefreiungsprogramm für Kleinanleger, einen deutlichen Anstieg neuer Konten und Beiträge verzeichnet, insbesondere das "Dollar-Cost Averaging/Tsumitate"-NISA mit einer jährlichen Beitragshöchstgrenze von 400.000 Yen (rund 3.100 Euro) und einem Steuerbefreiungshorizont von 20 Jahren. In den vergangenen drei Jahren stieg die Zahl der Tsumitate-NISA-Konten bei Kleinanlegern im Alter zwischen 20 und 30 Jahren mit einer jährlichen Wachstumsrate von 274 Prozent, die Konten von Anlegern in ihren Dreißigern um 246 Prozent.

Fazit:

  • Privatanleger, die sich bei Aktieninvestitionen zurückhalten, werden wahrscheinlich nicht so komfortabel in den Ruhestand gehen. Bei institutionellen Anlegern wird die Performance von Kunden oder Unternehmen beeinträchtigt. Globale Risiken sind nicht wegzudiskutieren, aber in den vergangenen 15 Jahren ist der Nikkei trotz einer Fülle von Risiken gestiegen. Im Gegensatz zu früheren Höchstständen sind die Bewertungen für den Gesamtmarkt sehr angemessen. Die Aktienmarktentwicklung vor 2005 spiegelt dagegen das „alte Japan“ wider. Dorthin kehren wir definitiv nicht zurück, insbesondere nicht zu den wilden Aktienbewertungen dieser Ära.
  • Natürlich wird es auch in Zukunft Unebenheiten geben, aber diversifizierte langfristige Aktienanleger wurden in jedem großen Land – auch in Japan – belohnt. Und dies dürfte so bleiben, insbesondere wenn Japans Unternehmen ihre Ausschüttungsquoten erhöhen und realistische Gewinnprognosen abgeben. Beides wird die heimische Aktienkultur fördern.
John Vail ist Chief Global Strategist bei Nikko Asset Management