Rede zur Jahreseröffnungsbörse - es gilt das gesprochene Wort

Andreas Schmidt, Mitglied des Vorstandes:

Sehr geehrte Damen und Herren,

„ESG“ - also „environmental, social, governance“ sind drei Buchstaben, die uns in Zukunft fast täglich begegnen werden. Wir wollten Ihnen nicht zu Beginn des Jahres den Spaß verderben. Sie erinnern sich vielleicht an letztes Jahr, wo wir „Mit Freude In Das neue Jahr“ gestartet sind. Dies gilt natürlich auch für dieses Jahr. Deshalb haben wir ESG für den heutigen Abend zunächst einmal anders definiert.

„ESG – eine Spitzen-Gesellschaft“ ist das Motto für meine Begrüßung. Denn wir finden Sie, unsere Gäste, einfach Spitze! Herzlich willkommen zu unserer Jahreseröffnungsbörse 2019. 

Sie sind „Spitze“, weil Sie für die Börse München in den Gremien aktiv sind – im Aufsichtsrat, im Börsenrat, im Freiverkehrsausschuss oder im Sanktionsausschuss. 

Sie sind „Spitze“, weil Sie für uns als Spezialist und Market Maker tätig sind. Sie betreuen mehr als 240.000 Wertpapiergattungen auf gettex und MAX-ONE. Im Jahr 2018 ist HSBC als neuer Market Maker auf gettex gestartet. Die Kooperation läuft genauso rund wie mit der Baaderbank, mwb fairtrade und der UniCredit.
 
Sie sind „Spitze“, weil Sie Orders an die Börse Mün-chen und an gettex schicken. Wir freuen uns über die „neuen“ und „alten“ Bekannten DADAT, mwb fairtrade und Steubing auf gettex und die Hafnerbank und ICF als Direktkunden auf MAX-ONE. 

Sie sind „Spitze“, weil Sie Unternehmen in m:access begleiten oder sich als Unternehmer mutig den Anforderungen des Kapitalmarkts stellen. 8 Emittenten von Aktien und eine Unternehmensanleihe sind 2018 neu in m:access gekommen! Damit sind 61 Unternehmen gelistet mit einer Marktkapitalisierung von 11 Milliarden Euro und rund 30.000 Beschäftigten. m:access ist damit die Börse für den Mittelstand in Deutschland. 

Sie sind „Spitze“, weil Sie uns in der IT, in der Software-Entwicklung, im Marketing und Vertrieb unterstützen oder positiv über uns in der Presse berichten. 

Und – Sie sind „Spitze“, weil Sie uns als Vertreter der Börsenaufsichtsbehörden überwachen, konstruktiv begleiten und börsliche Regelwerke genehmigen.

Liebe Gäste,

wir danken Ihnen allen ganz herzlich für Ihren Einsatz für die Börse München! Und auch davon unabhängig sind Sie alle natürlich „Spitze“.
 Wir fühlen uns geehrt, dass wir mit Ihnen zusammen heute Eine Spitzen-Gesellschaft sein werden! Sie sind dabei sogar ESG konform. Denn Sie leisten uns im Vorstand, also Ertl und Schmidt, Gesellschaft. 
 Wir Börsianer, alle Kolleginnen und Kollegen freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Ihnen im Jahr 2019. Alles Gute für´s neue Jahr!
 

Liebe Gäste!

Sie wissen es selbst: noch ist natürlich nicht alles gut! „ESG“ im Sinn von „environmental, social und governance“ belegt dies in vielfältiger Weise und gibt mir die Stichworte für diese Rede. 

Auslöser ist der Aktionsplan der EU-Kommission mit dem Titel: „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“, vorgelegt im März 2018. Im dritten Absatz des „Hintergrunds“ für den Aktionsplan heißt es wörtlich:

„Um die aus der Finanzkrise gezogenen Lehren zu verwerten, wird das Finanzsystem derzeit reformiert und kann vor diesem Hintergrund ein Teil der Lösung für eine umweltverträglichere und nachhaltigere Wirtschaft sein. Damit privates Kapital in nachhaltigere Investitionen umgelenkt werden kann, muss das Finanzsystem umfassend umgestaltet werden.“

Ziel der EU-Kommission

Erklärtes Ziel der Kommission ist es also, Kapitalströme umzulenken. Dieses Ziel lehne ich ab. Die Begründung dafür, Lehren aus der Finanzkrise zu verwerten, ist fadenscheinig. Notleidende Immobilienkredite aus den USA, die an europäische Banken vor über 10 Jahren verkauft worden sind, sollen heute staatlichen Dirigismus in bestimmte Assets rechtfertigen. 

Für mich sieht es sehr danach aus, dass unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit andere Ziele verfolgt werden. Die Finanzbranche soll weiter mit detaillierten Regelungen drangsaliert werden, neue aufsichtsrechtliche Befugnisse werden geschaffen und Mittel für zusätzliche Planstellen in den Behörden bereitgestellt. 

Es geht immer mehr darum, Einfluss auf die unternehmerische Freiheit und Verantwortung des Einzelnen und der Unternehmen zu bekommen. Dieser Eindruck verfestigt sich, liest man die Debatte im Heft 24 des Ifo-Schnelldienstes, in dem „Ethik in der Wirtschaft“ zur Diskussion gestellt wird. 

Darin heißt es sinngemäß: Wenn Ethik und Moral als absolut vorrangig gegenüber der Ökonomie gelten und wenn Appelle wirkungslos bleiben, dann kann nur politischer Zwang ethisch verpflichtende Ziele gegen die ökonomische Logik der Marktwirtschaft durchsetzen. Prof. Karl Homann zieht als Fazit – ich zitiere: „Diese normativ begründete Strategie ist tendenziell autoritär und fundamentalistisch.“
Sein Nachfolger an der LMU, Prof. Nida-Rümelin, geht noch einen Schritt weiter. Im „Wettstreit der Denkschulen“ im Handelsblatt vom 4. Januar 2019 konstatiert er: das alleinige Vertrauen auf Sanktionen und Kontrolle befördert Überregulierung und ebnet den Weg in eine totalitäre Ordnung.
Behalten Sie dies bitte im Hinterkopf und betrachten wir gemeinsam die Buchstabenkombination ESG!

E wie environmental

Fundamentalismus schlägt uns entgegen bei Dieselfahrverboten, beim Kauf von Avocados und der weiteren Nutzung von Kohlekraftwerken. Schlagzeilen wie: „Im Zeitalter der Kohle - Asien setzt auf Kohle! (HB vom 3.12.2018, S. 8) stechen ins Auge und machen klar: die Umweltthematik ist global zu lösen und nicht auf der Autobahn zwischen Holzkirchen und Sauerlach. 

Ebenso fundamentalistisch geht es bei Finanzthemen zu. Hier ein paar Beispiele: 
Die Kreditvergabe für „grüne Investitionen“ soll gefördert werden. Banken könnten dafür weniger Sicherheiten zurücklegen müssen. Ich halte einen solchen „green supporting Faktor“ für Unsinn. Zum Schutz der Finanzmarktstabilität kommt es allein auf das Ausfallrisiko an und nicht auf ein grünes Label.
Da tut es gut zu lesen, dass die Deutsche Finanzagentur aktuell nicht plant, „grüne“ Bundesanleihen zu emittieren. Die Gründe dafür sind plausibel: die geringe Liquidität grüner Bonds und eine gewisse Sorge um das Rating von Bundespapieren.
Mancher Produktanbieter surft schon so auf einer „grünen“ Welle, dass Verbraucherschützer dies als „Verkaufsmasche“ bewerten (SZ vom 13.12.2018, „Gute Anlage oder Werbegag“). Prompt fühlt sich der Gesetzgeber um „Hilfe“ gerufen und rettet die Verbraucher. Um einem sogenannten „greenwashing“ vorzubeugen, einigten sich die Regierungen im Europäischen Rat auf eine grüne Transparenz. Seit wann hat bitte Transparenz eine Farbe?

Es irritiert mich, wenn sich Aufsichtsbehörden zuständig für Klimarisiken erklären und die Europäische Zentralbank diese als eine der entscheidenden Bedrohungen für das Bankensystem der Währungsunion betrachtet. Risikobeurteilungen sind schon lange geübte Praxis in Versicherungen und Kreditinstituten. Finanzmarktstabilität ist ein Wert für sich. Der mögliche Zielkonflikt mit Klimaschutz darf nicht durch den Blick durch die „grüne Brille“ so verwässert werden, dass neue Risiken im Finanzsystem entstehen. 

Statt sich also um ein nachhaltiges Finanzwesen zu kümmern, sollte die EU-Kommission dort direkt ansetzen, wo Unternehmen und Verbraucher die Umwelt belasten. Die Adressaten wären zahlreich: Energiekonzerne, Maschinenbauer, Spediteure, Fluggesellschaften, Nahrungsmittelhersteller, Chemieunternehmen, die Bauindustrie oder Landwirte. 

Ich halte es für falsch, dass die Aufseher über Banken, Börsen und Versicherungen die Beschäftigten der Finanzbranche für grüne Zwecke instrumentalisieren, wo sie offenbar sonst amgesellschaftspolitischen Diskurs und Widerspruch scheitern würden. Und das Ganze mit der Begründung: Ihr habt die Finanzkrise verursacht. Deshalb strengt Euch an, Geld für grüne Projekte „umzulenken“.

S wie social

Kommen wir damit zu S wie „social“!

Der Konflikt zwischen Umwelt und Soziales, zwischen Industrieproduktion und Arbeitsplatzsicherheit, darf nicht ohne demokratische Legitimation gelöst werden. Trotzdem sollen die Europäischen Aufsichtsinstanzen für Banken, Versicherungen und Börsen zur Überwachung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken ermächtigt werden.

Das Spektrum reicht dann im Bereich Soziales von Anti-Diskriminierungsrichtlinien, Kinderarbeit und Diversity bis hin zu Telearbeitsplatz, Kinderbetreuung und Tarifabschlüssen.

Ich lehne eine mit „sozial“ titulierte Lenkung von privaten Investitionen durch zentralistische, europäische Aufsichtsbehörden ab.
Wenn es – wie vergangenen Samstag - heißt, „EU-Aufsicht will Privatleute in Fonds locken“ (BörsenZeitung vom 12.1.2019), dann geht es nicht mehr nur um ein harmlos klingendes „Nudging“. Es ist kein kleiner Stupser oder Schubser mehr. Es ist ein staatlicher Eingriff in die soziale Marktwirtschaft, an dessen Ende ein europäisches „social credits – System“ stehen könnte. Wohlfeiles Verhalten würde prämiert, nicht gewolltes Tun sanktioniert. Wie so etwas aussehen kann, zeigt die neuere Entwicklung in China.
Der China-Experte Strittmatter hat dazu ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: „Die Neuerfindung der Diktatur – Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert.“ Über dieses „System für soziale Vertrauenswürdigkeit“, hat letzte Woche „Die Zeit“ berichtet.

Richtig: Studenten sollten ihre Vorlesung nicht schwänzen, Fußgänger nicht bei Rot über die Ampel gehen, Schuldner ihre Kredite zurückzahlen und niemand seinen Plastikmüll ins Meer werfen. 

Mehr als 7 Millionen Chinesen sind schon öffentlich im Web an den Pranger gestellt. Interessant dabei: Luxemburg bietet schon heute VIP-Kunden von Alibaba mit mehr als 750 Punkten - sie sind besonders vertrauenswürdige Nutzer von Alipay - verbesserte Konditionen zur Einreise in den Schengen-Raum. 

Wenn Punktesysteme darüber entscheiden, wer ICE fahren darf, wenn Vertrauensbrecher schon am Anrufton des Handys von allen und für jedermann erkannt werden, wenn der Zugang zu Bank- oder Versicherungsleistungen über eine neugestaltete „Deutschland-Card“ versperrt würde, dann leben wir in einer von Nida-Rümelin befürchteten totalitären Ordnung. Dies darf nicht unser gemeinsames europäisches Verständnis von „sozial“ unter dem Kürzel „ESG“ werden.

G wie governance

Damit komme ich zum letzten Buchstaben. Auch beim G fragen wir uns: was ist mit governance eigentlich alles gemeint?

Die einfache Antwort: keine Korruption, keine Bestechung, Richtlinien zur Geldwäsche, ein Programm für interne Hinweisgeber, whistleblower genannt. 

Die schwierigere Antwort: ESG-Berichtsstandards, Offenlegung der Vorstandsvergütung, Unabhängigkeit des Vorstands, inhouse-teams für nachhaltige Geldanlage. Und ich bin mir sicher – Sie werden so manches fundamentalistische Denken erleben.

4 Beispiele aus dem Börsenalltag

Nummer eins: der Handel von Cannabis-Aktien. Er sollte auf Basis einer Strafnorm des EU-Mitglieds Luxemburg eingestellt werden, weil die Abwicklungseinheit Clearstream Banking dort ihren Sitz hat und sich nicht strafbar machen wollte.
An der Börse München waren zunächst 40 Gattungen tangiert, bis festgestellt wurde, dass die Unter-nehmen ja auch für medizinische oder Forschungszwecke Cannabis produzieren oder nutzen. Übrig geblieben sind dann nur 4 Gattungen, deren Handel eingestellt wurde. Gattungen, die in Kanada und den USA im Übrigen weiter gehandelt werden. 

Nummer zwei: Dank MiFID II liefert die Börse München all abendlich einen Datensatz für über 240.000 Wertpapiere an die Europäische Börsenaufsicht ESMA in Paris. 48 Felder werden pro Gattung beschrieben; Fehler können mit Bußgeld geahndet werden. Die Datenmenge ist immens: Börsentäglich sind es rund 650.000 Datensätze allein im Rahmen des Referenzdaten-Reporting. Stellen Sie es sich einfach so vor: die Datensätze sind Zeilen. Sie füllen rund 22.500 Seiten DIN A4-Papier. Das ergibt täglich einen Stapel Papier mit einer Höhe von 2,50 Meter. Spätestens jetzt hilft Ihnen der Hinweis: Please consider the environ-ment before printing!

Nummer drei: Die ESMA hat im Rahmen des EU-Aktionsplans ihrer Leitlinie zur Eignungsbeurteilung bei der Vermögensberatung überarbeitet. Anbieter von Wertpapierdienstleistungen sollen ihre Kunden nach deren Präferenzen in Umwelt-, Sozial- und Governancethemen befragen. Es sollte nicht Aufgabe meines Kundenberaters sein, mein Gewissen zu prüfen, mich zu beeinflussen, statt in Öl-Aktien besser in Wasserprojekte in Afrika zu investieren – einmal ganz davon abgesehen, dass MiFID II die Anlageberatung ohnehin massiv erschwert hat. 

Nummer vier: Zusätzlich soll die ESMA untersuchen, wie lange Vermögensverwalter ihre Kapitalbeteiligungen halten, um Nachweise für einen unangemessenen kurzfristigen Druck der Kapitalmärkte auf eine langfristig ausgerichtete Unternehmensstrategie zu sammeln. Geht´s noch? 

Richtiger Ansatzpunkt wäre dafür doch viel eher ein genauerer Blick auf das Verhalten international aufgestellter Hochfrequenzhändler! Der EU-Abgeordnete Markus Ferber hat recht, wenn er mit dem Europäischen Parlament fordert: „Wir müssen wegkommen von einem Aufsichtsansatz, der alle Akteure so behandelt als wären sie grenzüberschreitend tätige Investmentbanken.“

Die Sammelwut geht weiter

Doch die Sammelwut geht weiter - unbegrenzt und undifferenziert. Die Gesetzgebungsmaschinerie läuft unter dem Label „sustainable finance“ heiß. Wir haben dazu in der Finanzplatz München Initiative fpmi ein Positionspapier erarbeitet. In aller Kürze:

Es ist falsch, eine Taxonomie nur unter Berücksichtigung von environmental und getrennt von social und governance zu regeln - ganz abgesehen von der unterschiedlichen Beurteilung von Atomkraft in Europa! Nachhaltig ist mehr als grün!

Es ist falsch, die Taxonomie für die Finanzbranche ohne Beteiligung der Realwirtschaft festzuzurren. 

Es ist falsch, Stabilitätsziele für die Finanzwirtschaft durch Nachhaltigkeitsziele aufzuweichen.

Lesen Sie mehr dazu unter www.fpmi.de!

Bleiben Sei wachsam

Liebe Gäste,

Bleiben Sie wachsam, wenn es von der EU-Kommission heißt: „Damit privates Kapital in nachhaltigere Investitionen umgelenkt werden kann, muss das Finanzsystem umfassend umgestaltet werden.“

Denken Sie an die Wirtschaftsethiker Homann und Nida-Rümelin, die vor Überregulierung, Fundamentalismus und einer totalitären Ordnung, aufgebaut auf dem Primat der Moral, warnen. Denken Sie dabei auch daran, dass offenbar 4 von 5 Chinesen das dortige „social credits-System“ gut finden. 

Ein Satz des Kabarettisten Puffpaff kann Sie vielleicht bei Ihren Gesprächen jetzt inspirieren: 

„Lassen Sie sich nicht einreden, dass Sie die Welt retten können. Sie können es nicht. Aber: Sie können die Welt verändern – mit Kleinigkeiten!“

Fangen wir damit an! Dann werden wir wirklich zu Einer Spitzen Gesellschaft.
Dazu trägt heute das Team von Flo und Co. in Küche und im Service ihren Teil bei. Herzlichen Dank, dass Sie uns auch dieses Jahr mit leckeren Speisen und Getränken erfreuen. 

Vielen Dank an die Musiker der Band Crosspop, die uns beschwingt in das neue Börsenjahr begleitet, und an die Technik, dass Sie die Musik auch hören. 
Besten Dank an unser Team aus der Börse, das die Jahreseröffnungsbörse 2019 so gut vorbereitet hat.

Ich bin mir sicher: Wenn Sie heute nach Hause gehen, sagen Sie auf die Frage: wie war´s? 
Ganz einfach ESG! 

Essen und Trinken: ESG! Service: ESG!
Musik: ESG! Stimmung: ESG
 – einfach super gut!

Auf ein erfolgreiches Jahr 2019!
Auf unsere gute Zusammenarbeit!
Auf einen schönen Abend!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!