Zinsausblick: Zunehmende Divergenzen im kommenden Jahr
Euro-Zone – Inflation lässt weiter nach
Für die Euro-Zone, die ein Handelsbilanzüberschuss aufweist, führen weltweit höhere Zölle eher zu schwächeren Exporten und damit zu Deflationsdruck. Dieser Effekt dürfte sich durch eine kraftlose Weltwirtschaft infolge eines zunehmenden Protektionismus und zunehmender geopolitischer Spannungen insbesondere bezüglich China noch verstärken. Und selbst wenn die EU Gegenzölle erhebt, sollte sich kein nennenswerter Inflationsdruck zeigen, da die schwache Konjunkturlage und die sich aufbauenden Überkapazitäten keine Preiserhöhungen zulassen. Die Gewinnmargen der Unternehmen geraten unter Druck, und vieles spricht für eine Zurückhaltung bei Lohnerhöhungen. Jüngste Stimmungsindikatoren für die Euro-Zone signalisieren eine erneute Eintrübung; eine Entwicklung, die sich in den kommenden Monaten verstärken sollte. Deshalb ist eine durchschnittliche Inflation in der Euro-Zone von unter 2 Prozent im kommenden Jahr möglich.
EZB auf dem schnellen Weg zur neutralen Geldpolitik
Seit dem Wahlsieg von Donald Trump hat sich das Konjunkturrisiko klar erhöht und damit das Inflationsrisiko gesenkt – zumindest für die Euro-Zone. In der Folge ist von der EZB ein zügiges Senken der Zinsen bis auf ein Niveau des Einlagenzinssatzes von 2 Prozent im Jahr 2025 zu erwarten. Dieses Niveau gilt als der neutrale Zinssatz. Angesichts aktueller Entwicklungen dürfte die EZB den Zins mindestens auf dieses Niveau bis Mitte 2025 senken. Schwächt sich die Konjunktur kräftiger ab, vor allem aufgrund einer zunehmend globalen Eintrübung, dann muss die EZB den Einlagenzins unter 2 Prozent senken und eine expansive geldpolitische Ausrichtung einleiten. Führen die höheren Zölle und ein schwacher Euro-Wechselkurs jedoch zu Inflation, könnte sie bei dem neutralen Niveau erst einmal verweilen.
Doch die Chance für eine EZB-Zinssenkung unter 2 Prozent im kommenden Jahr ist bei der aktuellen Gemengelage nicht schlecht. Zwar sind die finalen Zoll-Entscheidungen der neuen US-Regierung noch nicht bekannt, und sie werden auch von der Kompromissbereitschaft der anderen Länder abhängen. Doch die diskriminierende Zollpolitik gegenüber China und anderen Ländern, die einen großen Handelsüberschuss mit den USA aufweisen, wird sich in höheren Zollsätzen und angespannten Handelsbeziehungen zeigen bzw. die Weltwirtschaft belasten. Dies wird Bundrenditen unter 2 Prozent drücken. Wie nachhaltig dieses Niveau sein wird, bleibt abzuwarten. Schließlich sind sie auch von der Entwicklung der US-Renditen abhängig. Zudem sollten sie nicht nachhaltig unter dem Gleichgewichtszinssatz liegen.
USA – preistreibende Zölle und eine weniger ambitionierte Fed
Für die USA stellt sich die Situation anders dar. Die Zollerhöhungen werden vor dem Hintergrund des enormen Handelsbilanzdefizits zu Preisanstiegen führen, gerade wenn die US-Wirtschaft robust bleibt. Und davon ist angesichts der angestrebten fiskalischen Maßnahmen der neuen US-Regierung auszugehen. Die Zollanhebungen werden das US-Handelsbilanzdefizit kaum spürbar reduzieren, sie werden aber vor allem kurzfristig Inflationsdruck generieren, dem sich die Fed mit weniger ambitionierten Zinssenkungen entgegenstellen muss. So wird die Fed im kommenden Jahr eher zögerlich handeln. Das aktuell hohe Zinsniveau sollte dennoch Raum für eine Senkung der Fed-Funds-Rate auf 4 Prozent im Jahr 2025 erlauben. Viel Raum für sinkende langläufige US-Renditen ergibt sich also nicht.
Mittel- bis langfristig ist die Dynamik jedoch eine andere. Die USA haben bereits unter Joe Bidens Präsidentschaft ihre Attraktivität als Investitionsstandort durch den Inflation Reduction Act und niedrige Energiekosten verbessert. Dies wird durch weitere Steuersenkungen und höheren Zöllen nochmals bekräftigt. So ist mittel- bis langfristig von einer Reaktion der Angebotsseite auf die Zölle und Investitionsanreize auszugehen, was das US-Wirtschaftswachstum fördern und das Handelsungleichgewicht zumindest etwas reduzieren könnte. Dann bestände auch Raum für einen niedrigeren US-Gleichgewichtszinssatz. Doch dies wird sicherlich nicht im kommenden Jahr der Fall sein.
US-Dollar mit Auftrieb, Aktienmärkte mit Gegenwind
Die Ausweitung des Zinsdifferenzial im Jahr 2025 sollte dem US-Dollar gegenüber dem Euro weiter Auftrieb geben. Doch bei der hohen Unsicherheit über die Ausgestaltung und Reaktion der neuen US-Handels-, Wirtschafts- und Außenpolitik ist jegliche Einschätzung mit erhöhtem Risiko behaftet. Doch einiges sollte sicher sein: Das globale Wirtschaftswachstum wird infolge des zunehmenden Protektionismus und geopolitischer Spannungen gedämpft ausfallen, während Risikoaversion und damit -prämien erhöht bleiben. Der US-Aktienmarkt, der von Trumps Steuersenkung beflügelt wurde, könnte deshalb Gegenwind erhalten – nicht zuletzt von einer zögerlichen Fed. Grundsätzlich scheint die Einschätzung zu Aktienmärkten risikobehaftet. In der Euro-Zone werden zwar die EZB-Zinssenkungen stützen, doch Bundrenditen werden kaum spürbar sinken, während die Gewinnerwartungen der Unternehmen durch Wachstumsrisiken negativ belastet sind.
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