Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank

Veränderte Megatrends und US-Außenpolitik – höhere Zinsen?

Die EZB hat kaum noch Raum, ihre Zinsen unter 2 Prozent zu senken, während die Fed aufgrund steigender Inflationserwartungen ebenfalls zögerlich agieren sollte. Auch am langen Ende der Zinskurve ist der Raum für nachhaltig niedrigere Renditen begrenzt. Der neutrale Zinssatz wird in den kommenden Jahren durch Faktoren wie Deglobalisierung, demografische Veränderungen, die US-Außenpolitik sowie höhere Fiskaldefizite steigen. Dies gilt für die USA und die Euro-Zone. In welchem Maße Produktivitätssteigerungen und damit ein Anstieg des Potenzialwachstums diesem Trend entgegenwirken können, bleibt abzuwarten. Die IKB sieht deshalb wenig Raum für 10-jährige Bundrenditen unter 2 Prozent und erwartet, dass die EZB Mitte 2025 bei einem neutralen Niveau von 2 Prozent pausieren wird.

Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank

US-Außenpolitik gibt Gleichgewichtszinssatz Auftrieb

In welchem Maße der Gleichgewichtszinssatz ansteigen wird, bleibt jedoch abzuwarten – insbesondere, weil es Gegenargumente wie zum Beispiel Produktivitätssteigerungen aufgrund der Verbreitung von KI gibt. Vor allem im Dienstleistungssektor (z. B. im Gesundheitswesen) werden hohe Erwartungen an die KI gesetzt. Auch ist nicht sicher, dass eine alternde Bevölkerung zu einer höheren Inflation führt. Hierfür ist Japan ein prominentes Beispiel. Sicherlich könnte eine schrumpfende Bevölkerungszahl für Deflationsimpulse sorgen. Ein höheres Produktivitätswachstum würde hingegen das Potenzialwachstum verbessern und dadurch den Druck auf höhere Zinsen reduzieren. Zwar verzeichnen die USA mit dem Aufkommen der Informationstechnologie und des Internets einen Anstieg des Produktivitätswachstums. Allerdings waren die letzten Jahre von einem erneuten Rückgang bzw. einer Stagnation des Produktivitätswachstums geprägt. Alternativ mag die Handelsbilanz als Ventil für eine Überschussnachfrage helfen. So weisen die USA schon seit Jahrzehnten ein Handelsbilanzdefizit aus, um ihre niedrige Sparquote zu adressieren. Dabei kommt ihnen vor allem die Vormachtstellung des US-Dollar als Weltwährung zugute.

Denn trotz des strukturellen Defizits gab es bisher keine nachhaltige Abwertung des US-Dollar. Für jedes Schwellenland würde hingegen ein strukturelles Defizit in diesem Ausmaß zu einer Abwertung ihres Devisenkurses führen, die der Notenbank nicht wirklich helfen würde, die Inflation in den Griff zu bekommen. Südafrika und die Türkei sind hierfür prominente Beispiele. Der große Appetit auf US-denominierte Vermögenswerte hat bis dato eine US-Dollar Schwäche verhindert, u. a. weil China und Japan eine hohe Bereitschaft zeigten, Vermögen in US-Dollar zu halten. Dies aus Eigeninteresse, um ihrer Exportwirtschaft nicht zu schaden.

Die zunehmende Industrialisierung Chinas und die Globalisierung der Weltwirtschaft hatten in den letzten Jahrzehnten für Deflationsdruck und eine hohe Nachfrage nach US-Dollar gesorgt. Dadurch konnten reale Renditen in den USA über Jahrzehnte hinweg trotz eines anhaltenden Haushalts- und Fiskaldefizits sinken. Auch hat ein hohes Geldmengenwachstum nicht zu Inflation geführt, weil dieses vor allem von institutionellen Investoren wie z. B. der Chinesische Notenbank und weniger vom US-Konsumenten gehalten wird. Zwar trägt die aktuelle US-Außenpolitik nicht zur Attraktivität von US-Vermögenswerten bei, doch drastische Veränderungen der Wechselkurse bzw. des US-Dollar oder des Renditeniveaus sind nur unter der Einführung von Kapitalkontrollen und damit einer Deglobalisierung der Finanzmärkte zu erwarten. Selbst bei einer zunehmenden Abschottung der US-Wirtschaft bleibt dies doch eher ein unplausibles Szenario, da noch immer rund 60 Prozent des Welthandels in US-Dollar abgewickelt wird. Allerdings besteht aufgrund des Aufkommens anderer Leitwährungen wie dem Renminbi die Gefahr einer abnehmenden Bedeutung des US-Dollar, was eher für steigende US-Renditen sprechen würde.

Zollmauern, Deglobalisierung und steigende Lohnkosten in Schwellenländern wie China wirken aktuell über die Handelsbilanz inflationstreibend. Zudem ist die US-Regierung derzeit „bemüht“, den vorteilhaften Zustand für den US-Konsumenten auch mittelfristig zu erodieren. Denn es bleibt zweifelhaft, ob die beabsichtigte Produktionsausweitung in den USA eine Produktivität bzw. Lohnkosten aufweisen wird, wie sie bei den Handelspartnern zu finden sind. Das Potenzialwachstum in den USA müsste sich über Investitionen und damit über Produktivitätssteigerungen deutlich verbessern. Hierbei mag vielleicht der Inflation Reduction Act etwas Rückenwind geben. Doch die USA drängen sich durch ihre Außenpolitik mehr und mehr ins Abseits. Dies könnte den US-Dollar zumindest langfristig unter Druck setzen. Zudem gibt es auch in den USA Fachkräftemangel. So besteht wenig Zweifel daran, dass die aktuelle US-Außenpolitik den US-Gleichgewichtszinssatz zumindest nicht senken wird.

Inflation: keine Lösung für ansteigende Schuldenquote

Was ist mit der staatlichen Schuldenquote? Wird sie zu Zweifeln an der Bonität der USA führen und so höhere Zinsen notwendig machen? Da die USA nur in ihrer eigenen Währung Anleihen emittieren und eine eigene Notenbank haben, sollten negative Folgen aufgrund des hohen Schuldenstands nicht überbetont werden. Grundsätzlich ist es eine Frage der Zinslast und des nominalen BIP-Wachstums, ob die Schuldentragfähigkeit eines Staates besteht. Ist die effektive Zinsrate des Staates höher als das nominale Wachstum, ist ein Primärüberschuss notwendig, um eine Eskalation der Schuldenquote zu verhindern. Also: Die Einnahmen müssen höher ausfallen als die Ausgaben ohne Zinszahlungen. Der Staat braucht das Wirtschaftswachstum, um seine Schuldenquote zu kontrollieren bzw. zurückzufahren. Ist das Potenzialwachstum zu niedrig, sind höhere Zinsen notwendig, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Der Druck auf den Staat zur Haushaltskonsolidierung würde sich noch weiter erhöhen. Bei aller Unsicherheit ist dennoch eines klar: Das Zulassen einer höheren Inflation ist keine Lösung. Sie würde zu einem Anstieg der realen Zinsen und damit zu deutlich höheren nominalen Zinsen führen, was die Schuldentragfähigkeit trotz stärkeren nominalen BIP-Wachstums belasten würde.

Und Europa?

Grundsätzlich wird die Staatsverschuldung der EU-Länder weiter ansteigen, da diese ihre Verteidigungsausgaben deutlich ausweiten müssen und das Potenzialwachstum auch auf Sicht gedämpft sein wird.

Die Botschaft der Münchener Sicherheitskonferenz 2025 war für die EU eindeutig: Auf die USA ist kein Verlass. Gleichzeitig wird die Gefahr vom Osten weiter als äußerst real angesehen. Deshalb hat die EU bereits „Eurobonds for Defence“ ins Spiel gebracht. Denn: Die höheren Verteidigungsausgaben können/sollen weder über eine Priorisierung der Ausgaben noch durch höhere Steuern finanziert werden. Dies gilt vor allem, weil die EU wichtige Projekte wie Stärkung der Investitionen und die Klimapolitik weiter vorantreiben möchte. Der Draghi-Report verdeutlicht die enorme Investitionslücke, die in Europa vor allem bzgl. Zukunftsindustrien besteht. Zudem könnten die Klimaziele das Potenzialwachstum in Europa belasten, insbesondere wenn die globale Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der Klimavorgaben leidet.

Die Staatsschuldenquote der Euro-Länder wird also – auch für die EU insgesamt – weiter ansteigen. In Europa ist deshalb angesichts höherer Defizite und fehlenden Potenzialwachstums ebenfalls von einem höheren Gleichgewichtszinssatz auszugehen. Der Staat weitet die Nachfrage spürbar aus, während Bürokratie und Planwirtschaft aus Brüssel produktive Investitionsimpulse dämpfen. Die höheren Verteidigungsausgaben werden ebenfalls zu keinem höheren Potenzialwachstum beitragen, denn Verteidigungsausgaben sind in erster Linie als Konsumausgaben zu werten.

Einschätzung

Kurzfristig wird entscheidend sein, in welchem Maße US-Zölle in den USA für Inflationsdruck sorgen und den Raum der Fed für Zinssenkungen einengen werden. Höhere US-Renditen werden wiederum den Bundrenditen Auftrieb geben. Auf der anderen Seite haben US-Renditen bereits nach oben korrigiert, und die geldpolitische Ausrichtung der USA sollte zu einer Abkühlung der US-Wirtschaft führen, was der Fed perspektivisch Raum für Zinssenkungen verschaffen sollte

Es ist schwer vorstellbar, warum der Gleichgewichtszinssatz in den USA nicht höher liegen sollte als in den vorhergehenden Jahrzehnten. Für die USA liegen aktuelle Schätzungen bei um die 0,5 Prozent real, während laut EZB das Niveau in der Euro-Zone bei 0 Prozent real liegt. Dies deutet auf einen neutralen nominalen Zins von um die 2 Prozent  in der Euro-Zone und zwischen 2,5 Prozent und 3 Prozent in den USA hin. Sicherlich werden diese Prognosen oftmals revidiert, doch es bleibt angesichts der aktuellen europäischen und globalen Entwicklungen eher unwahrscheinlich, dass diese auf Sicht nach unten korrigiert werden. Die IKB sieht weiterhin kaum Raum für 10-jährige Bundrenditen von nachhaltig unter 2 Prozent . Ebenso gibt es wenig Raum für Zinssenkungen der EZB unter 2 Prozent  und der Fed unter 3 Prozent . Die EZB sollte Mitte 2025 bei ihrem neutralen Niveau von um die 2 Prozent  pausieren, Zinsanhebungen im Jahr 2027 sind nicht völlig auszuschließen.

Klaus Bauknecht

Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen.  Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.

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