EZB-Entscheid, Stimmen

Die EZB senkt Leitzins - Stimmen zur Entscheidung

Die Europäische Zentralbank hat - erwartungsgemäß - den Leitzins zum vierten Mal gesenkt, um 25 Basispunkte. Damit liegt der Einlagensatz auf 3 Prozent. Wichtiger als die Zinssenkung war der Ausblick, den die EZB auf ihrer Sitzung gab.

EZB in Frankfurt / Bild: EZB

Carsten Mumm: Pfad der Normalisierung

Die EZB ist trotz der heutigen Leitzinssenkung auf einem guten Pfad der Normalisierung ihrer Geldpolitik. Nachdem die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte von den Geschäftsbanken am Jahresende komplett zurückgezahlt werden, stellt sie auch die Wiederanlage der Tilgungsbeträge aus dem PEPP-Wertpapierkaufprogramm Ende 2024 ein. Die Abstinenz der Notenbank am Sekundärmarkt für Staatsanleihen sorgt allerdings tendenziell für Zinssteigerungsdruck bei längeren Laufzeiten in einem Umfeld ohnehin noch restriktiv wirkender Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und Haushalte. Daher ist mit weiteren Anpassungen der Leitzinsen im Jahr 2025 zu rechnen. Angesichts der anhaltenden Wachstumsschwäche der Eurozonen-Wirtschaft – die Notenbank selbst hat ihre Wachstums- und Inflationsprojektionen gesenkt – wären aus heutiger Sicht rund 100 Basispunkte tiefere Leitzinsen im Laufe des kommenden Jahres gerechtfertigt. Das würde helfen, den Konsum und die Investitionen anzuregen – eine wichtige Voraussetzung, um die erwartete Wachstumsdynamik tatsächlich zu erreichen. Aktien- und Edelmetallkurse sowie Immobilienpreise dürften zinsinduziert somit weitere Unterstützung erfahren, während der Euro im Vergleich zum US-Dollar vorerst schwach tendieren sollte.

Carsten Mumm ist Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL

 

Dr. Klaus Bauknecht: Das Bild ist weniger eindeutig

Die EZB setzt ihren Kurs fort und senkt ihre Leitzinsen um 25 bp. Angesichts der aktuellen Konjunkturerwartungen gibt es wenig Zweifel daran, dass sie bis Mitte 2025 den Einlagenzinssatz auf ein neutrales Niveau von etwa 2 Prozent senken sollte. Danach ist das Bild weniger eindeutig. Eine Senkung bis auf 1 Prozent im Jahr 2026 ist angesichts der Konjunkturrisiken durchaus möglich. Sie könnte aber auch bei 2 Prozent verweilen, wenn der globale Protektionismus für die Euro-Zone eher inflationär als wachstumshemmend wirkt. Die EZB hat ihre Prognosen für Wachstum und Inflation leicht nach unten korrigiert, dennoch bestehen weiterhin Abwärtsrisiken. Die IKB erwartet für das Jahr 2025 eine Inflationsrate in der Euro-Zone von etwa 2 Prozent oder leicht darunter

Dr. Klaus Bauknecht ist Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG

 

Kaspar Hense: Ein erfolgreiches Jahr

Christine Lagarde und die Europäische Zentralbank haben ein sehr erfolgreiches Jahr hinter sich. Sie haben den Markt gut geführt und im ersten Quartal deutlich gemacht, dass der Markt mit seinen Annahmen über aggressive Zinssenkungen in der ersten Hälfte des Jahres 2024 völlig falsch lag.

Wie angekündigt, begannen sie im Juni und September mit langsamen, aber entschlossenen Zinssenkungen und haben das Jahr nun mit insgesamt vier Zinssenkungen beendet. Das ist eine mehr als wir erwartet hatten, aber angesichts des drohenden Zollkriegs und der sich verschlechternden globalen Wachstumsaussichten, bei denen die Arbeitslosenquoten in den Kernländern höchstwahrscheinlich weiter langsam ansteigen werden, halten wir dies für gerechtfertigt.

Wir gehen davon aus, dass sie die Zinsen schrittweise – das heißt: um 25 Basispunkte pro Sitzung – weiter unter den ‚kurzfristigen neutralen Wert‘ senken werden, der unserer Meinung nach bei etwa 2 Prozent liegt. Das würde bedeuten: Bei einer Kerninflation, die im ersten Halbjahr bei etwa 2,5 Prozent liegt, bevor sie sich in der zweiten Jahreshälfte weiter abschwächt, werden die Realzinsen negativ sein. Dies dürfte die Konjunktur leicht stützen, die mit Gegenwind von der Handelsseite sowie durch den anhaltenden Wettbewerbsdruck aus China und fiskalische Faktoren konfrontiert ist.

Kaspar Hense ist Senior Portfolio Manager bei RBC BlueBay Asset Management

 

Patrick Barbe: Wie erwartet

Wie erwartet hat die EZB ihren Leitzins gesenkt. Gleichzeitig haben die Währungshüter in ihrer Erklärung die Formulierung ,die Zinssätze werden so lange ausreichend restriktiv gehalten wie es nötig ist' gestrichen. Dies deutet darauf hin, dass die europäischen Währungshüter ihren Kurs bei den Zinssenkungen so lange fortführen, bis ein neutrales Niveau erreicht ist. Außerdem senkt die EZB ihre Prognose für das BIP des Euroraums um 0,1 Prozent ab 2025 und darüber hinaus. Die Entscheidung der EZB bestätigt die Erwartungen des Marktes in Bezug auf Zinssenkungen in den kommenden Monaten. Wir gehen davon aus, dass die Euro-Anleihen ihre Performance fortsetzen, insbesondere bei kurz- bis mittelfristigen Laufzeiten und bei den Ländern, die im nächsten Jahr mehr Anleihen emittieren müssen.

Patrick Barbe ist Head of European Investment Grade Fixed Income bei dem unabhängigen US-amerikanischen Vermögensverwalter Neuberger Berman
 

Gordon Shannon: Fed und EZB gehen auseinander

Die heutige Zinssenkung um 25 Basispunkte war zwar erwartet worden, doch der aktualisierte Ausblick der EZB und die damit verbundenen Kommentierungen veranlassen die Anleger, die Entwicklung der europäischen Zinsen bis 2025 neu zu bewerten.

Die Erwartungen an die Politik der FED und der EZB divergieren zunehmend, da die Zentralbanken versuchen, mit ganz unterschiedlichen Fundamentaldaten umzugehen.

Gordon Shannon ist Portfoliomanager bei TwentyFour Asset Management