Enguerrand Artaz, LFDE - La Financière de l’Echiquier

Eurozone zwischen Instabilität in Frankreich und Reformchancen in Deutschland

Das Jahr 2024 nähert sich der Zielgeraden, und es ist eine Untertreibung zu sagen, dass es für europäische Aktien nicht sehr günstig war. Während der S&P 500, der Leitindex der US-Börse, um 27 % zulegte und für Euro-Investoren dank der Aufwertung des Dollars gegenüber der Einheitswährung sogar um 33 % stieg, kam der EuroStoxx 50 nur auf ein Plus von 5 Prozent. Die Gründe dieser schwachen Leistung reichen von politischer Instabilität in Frankreich über die Flaute der industriellen Aktivität bis hin zur Exposition vieler Unternehmen gegenüber einer schwächelnden chinesischen Wirtschaft.

Enguerrand Artaz, LFDE - La Financière de l’Echiquier

Nun stellt sich die Frage nach den Aussichten. Das Schicksal der Eurozone wird natürlich - und in gewisser Weise leider - von Chinas Fähigkeit abhängen, die heimische Wirtschaft endlich anzukurbeln, sowie von der Zoll-Strategie der Trump-Regierung. Die Entwicklung der Eurozone wird aber auch von den Entwicklungen ihrer beiden treibenden Kräfte abhängen: Frankreich und Deutschland. 

Politische Instabilität Frankreichs als Risiko

Auf französischer Seite überwiegt das Risiko eines weiteren Fehltritts. Die politische Instabilität wird sicherlich noch mehrere Monate andauern. Das Szenario eines baldigen Sturzes der Regierung von Barnier gewinnt an Bedeutung. Sollte es dazu kommen, wären alle Szenarien offen, bis hin zu einem möglichen Rücktritt von Präsident Macron. Dies würde das Misstrauen der Anleger nur noch weiter verstärken. Zudem hätten selbst ein genehmigter Haushalt und das Ausbleiben eines Misstrauensvotums wahrscheinlich nur marginal positive Auswirkungen, da im nächsten Sommer eine erneute Auflösung des Staates und damit eine anhaltende Instabilität der Regierung in Aussicht steht. 

Darüber hinaus wird die Haushaltsfrage bestehen bleiben. Selbst wenn der Haushalt verabschiedet werden würde, würde dies das Defizit nur auf 5 Prozent des BIP senken, was allgemein gesehen immer noch sehr hoch ist. Darüber hinaus beruht diese Berechnung auf der im Finanzgesetz beschriebenen Annahme, dass das BIP im Jahr 2025 um 1,1 Prozent wächst. Angesichts der jüngsten Entwicklung der Wirtschaftsindikatoren ist es sehr unwahrscheinlich, dass dies erreicht wird. Ein Wachstum von 0,5 bis 0,7 Prozent erscheint hingegen glaubwürdiger, jedoch mit einem nicht zu vernachlässigenden Risiko einer technischen Rezession im Laufe des Jahres. 

Ein Haushalt, der auf einer zu hohen Wachstumsannahme beruht, kann nur zu einem weiteren Fehltritt führen. Und leider ist die Situation für Frankreich nicht neu. Frankreich ist der Staat, der seit der Gründung der Eurozone am häufigsten die Schwelle für ein übermäßiges Defizit (3 Prozent des BIP) überschritten hat – in 20 von 26 Jahren. Zudem steht Frankreich in der Eurozone derzeit besonders schlecht da, was das Verhältnis von Staatsdefizit zu Schulden angeht. Länder wie Italien und Griechenland, deren Verhältnis von Schulden zum BIP das Frankreichs übersteigt, werden im Jahr 2024 besser abschneiden. Italien strebt einen nahezu ausgeglichenen Haushalt an, während Griechenland einen deutlichen Überschuss erwartet.

Trotz dieser schlechten Bilanz und obwohl der französische 10-Jahres-Zinssatz vor kurzem seinen griechischen Gegenpart überholt hat, nimmt Frankreich weiterhin Kredite zu moderaten Zinsen auf. Es besteht nun jedoch die reale Gefahr, dass die anhaltende Haushaltsdisziplin in Verbindung mit der politischen Instabilität zu einem derartigen Misstrauen führt, dass die Zinsen an den Märkten in die Höhe schnellen und Frankreich in eine Art Schuldenkrise gerät. Dieses Szenario ist zweifellos das größte Risiko für die Eurozone in den kommenden Quartalen. 

Hoffnung auf politische Neuausrichtung

Diesem Risiko stehen jedoch Hoffnungen für einen Politikwechsel in Deutschland gegenüber, nachdem die regierende Koalition zerbrochen ist. Wenn es nicht zu einer größeren Kehrtwende kommt, dürfte die CDU/CSU unter Führung von Friedrich Merz die vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar nächsten Jahres gewinnen. Er gilt als wahrscheinlicher Kandidat für das Amt des künftigen Bundeskanzlers und wird vermutlich entweder mit der SPD von Olaf Scholz oder mit den Grünen ein Bündnis eingehen, je nachdem, wie diese Parteien abschneiden. 

Unabhängig von der Farbe der nächsten Koalition scheint es sicher, dass Deutschland, das mit einer Verschuldung von nur 59 Prozent des BIP und ohne Primärdefizit über echten Handlungsspielraum verfügt, seine bisher strikte haushaltspolitische Linie anpasst. Es bieten sich drei plausible Wege an. 

  • Erstens: Häufigere Aktivierung der Schutzklausel, die es dem Bundestag ermöglicht, die Schuldenbremse "im Falle einer Naturkatastrophe oder einer anderen außergewöhnlichen Notsituation, die sich der Kontrolle des Staates entzieht", auszusetzen. 

  • Zweitens: Verlängerung des 2022 eingerichteten Sonderfonds in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Unterstützung des Verteidigungshaushalts oder Einrichtung eines neuen Fonds. 

  • Schließlich könnte drittens die Grenze für das Haushaltsdefizit, die in den Mechanismus der Schuldenbremse einbezogen ist, überprüft werden. Sie liegt derzeit bei 0,35 Prozent des BIP und könnte auf 0,5 oder sogar 0,75 Prozent angehoben werden.  

Schafft Deutschland einen Wandel?

Diese Anpassungen mögen geringfügig erscheinen. Sie würden jedoch einen großen Wandel in der Denkweise der deutschen Politiker bedeuten. Für Anleger könnte dies ein Zeichen der Erleichterung sein, da die größte Volkswirtschaft der Eurozone endlich das Ausmaß ihres seit fast einem Jahrzehnt rückläufigen Wirtschaftsmodells erkennt und sich bereit zeigt, ihrem manchmal übertriebenen Ordoliberalismus ein wenig Flexibilität zu verleihen. 

Dies könnte auch einigen zyklischen Sektoren, die von den Märkten gemieden wurden, wie der Automobil- oder der Chemiebranche, wieder Auftrieb verleihen. Das Schicksal des Aktienmarktes der Eurozone im Jahr 2025 wird sicherlich zu einem großen Teil davon abhängen, ob die französischen Risiken eintreten oder sich die deutschen Hoffnungen erfüllen.

Enguerrand Artaz

Enguerrand Artaz ist Fondsmanager bei LFDE - La Financière de l’Echiquier (LFDE), eine der führenden Vermögensverwaltungsgesellschaften Frankreichs. Das Unternehmen wurde 1991 gegründet und ist seit Juli 2023 eine Tochtergesellschaft von LBP AM. LFDE verwaltet ein Vermögen von 27 Milliarden Euro (auf konsolidierter Basis, Stand: 31.12.2023), beschäftigt über 170 Mitarbeitende und vertreibt seine Fonds in den Benelux-Ländern, in Deutschland, Italien, Österreich, der Schweiz und Spanien. 

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